Achtung! Leon-Noel und seine Freunde entern jetzt langsam den Arbeitsmarkt. „Leon-Noel“ steht pars pro toto für eine Generation verhätschelter und verwöhnter Kinder, deren Eltern keine Grenzen mehr setzen. Erfunden hat ihn Ursula Kals für ihren Artikel „Ich, ich, ich“ (Frankfurter Allgemeine Woche, 29. April 2016). Und sie fragt: „Was passiert, wenn Leon-Noel seinen ersten Arbeitstag hat?“
Diese Heimsuchung wird mit Sicherheit auch Ihr Unternehmen treffen! Leon-Noel findet sich großartig. Schon von klein auf hat er Lob für Dinge bekommen, die für andere selbstverständlich sind. Er ist die Sonne im Sonnensystem seiner Eltern. Sein Zimmer hat seine Mutter aufgeräumt. Oder die Putzfrau. Oder niemand. Er jedenfalls nicht. Seine Eltern möchten gerne seine Freunde sein, nicht seine Eltern. Deswegen bieten sie ihm größte Freiheiten ohne Gegenleistung. Meistens bekommt er das, was er haben möchte. Wenn er dann erwachsen ist, hat er sich vollkommen in seiner Eitelkeit und Selbstgefälligkeit eingerichtet. Nur eines hat er nicht: ein realistisches Selbstbild. Er wird nicht dankbar dafür sein, dass Sie ihm einen Job geben, sondern er findet, dass Sie sich glücklich schätzen können, dass er Ihr Unternehmen überhaupt mit seiner Anwesenheit beehrt.
Leon-Noel ist ein Narzisst, wie er im Buche steht. Wortwörtlich. In den ersten Jahren nach Christi Geburt schrieb der große römische Dichter Ovid (43 v.Chr. -17 n.Chr.) seinen Sagenzyklus „Metamorphosen“. Dort begegnen wir Narcissus, dem Sohn einer Nymphe, der als Kind „voller Liebreiz“ war. Über den erst 16-jährigen Narcissus heißt es dann allerdings schon: „Aber solch hartherziger Hochmut wohnte in der zarten Gestalt! Kein Mann, kein Mädchen konnte ihn rühren.“ Nachdem er etliche Nymphen und auch Männer um sich herum enttäuscht und zurückgewiesen hatte, wurde Narcissus zu aussichtsloser Selbstliebe verflucht. An einem klaren Bergsee dann trägt sich die bekannte Geschichte zu:
„Hier ließ sich der Knabe nieder, vom eifrigen Jagen und von der Hitze erschöpft; denn die Anmut des Ortes und die Quelle zogen ihn an. Und während er den Durst zu stillen trachtete wuchs in ihm ein anderer Durst. Während er trinkt, erblickt er das Spiegelbild seiner Schönheit, wird von ihr hingerissen, liebt eine körperlose Hoffnung, hält das für einen Körper, was nur Welle ist. Er bestaunt sich selbst und verharrt unbeweglich mit unveränderter Miene wie ein Standbild aus parischem Marmor. […] – und alles bewundert er, was ihn selbst bewundernswert macht.“
Nachdem er sich aufgerieben hat in dieser vergeblichen Selbstanbetung und zugrunde geht an den unaufhörlichen Versuchen, sein Spiegelbild zu berühren, stirbt Narcissus am Ufer des Sees: „Und der Tod schloß die Augen, welche die Schönheit ihres Eigentümers bewunderten.“
Leider ist er auch dann noch vollkommen unverbesserlich. Kaum ist er in der Unterwelt angekommen, betrachtet er sich auch dort schon wieder im Wasser der Styx, des Unterweltflusses der griechischen Mythologie.
Wir sehen also, der Umgang mit Leon-Noel wird nicht einfach! Harter Brocken! Es bleibt wohl nur eines: Ihm frühzeitig zu zeigen, wo es langgeht. Er muss möglichst schnell an die Realität herangeführt werden. Gewöhnen Sie ihm das ständige Bedürfnis nach Anerkennung ab. Bringen Sie ihm bei, Kritik anzunehmen. Erklären Sie ihm, was Sie für das Gehalt, das er bezieht, von ihm erwarten. Zeigen Sie ihm, was Gemeinschaftssinn bedeutet. Und zwar, ehe er womöglich eines Tages Ihr Chef wird!