Nun reden Sie schon!

Wir reden zu wenig. Ich meine nicht das Dauergeschwafel auf allen Sendern und Kanälen. Nicht die egozentrische Selbstbeweihräucherung, nicht die Endlos-Monologe und auch nicht die ganzen nervigen Vermarktungsstrategien. Wir reden zu wenig miteinander. Und das nennt man Dialog. Wenn der fehlt, ist das im privaten Bereich der Ruin fast jeder Beziehung. In Unternehmen gehen dabei unendlich viel Potenzial und Chancen verloren.

Hans-Georg Gadamer (1900-2002), der große Philosoph, der zuletzt in Heidelberg lehrte, hat sich in seinem langen Gelehrten- und Denkerleben hauptsächlich damit beschäftigt. Mit dem Gespräch, das uns zu ganz neuen Erkenntnissen und zur Verständigung führen kann. Die Kunst dabei sei es, sagt Gadamer, zu erkennen, dass auch der andere recht haben könnte! Und dass wir voraussetzen, dass wir von jedem anderen Menschen etwas lernen und erfahren können:

„Wir sagen zwar, daß wir ein Gespräch ‚führen‘, aber je eigentlicher ein Gespräch ist, desto weniger liegt die Führung desselben in dem Willen des einen oder anderen Gesprächspartners. So ist das eigentliche Gespräch niemals das, das wir führen wollten. Vielmehr ist es im allgemeinen richtiger zu sagen, daß wir in ein Gespräch geraten, wenn nicht gar, daß wir uns in ein Gespräch verwickeln. Wie da ein Wort das andere gibt, wie das Gespräch seine Wendungen nimmt, seinen Fortgang und seinen Ausgang findet, das mag sehr wohl eine Art Führung haben, aber in dieser Führung sind die Partner des Gesprächs weit weniger die Führenden als die Geführten. Was bei einem Gespräch ‚herauskommt‘, weiß keiner vorher. Die Verständigung oder ihr Mißlingen ist wie ein Geschehen, das sich an uns vollzogen hat. So können wir dann sagen, daß etwas ein gutes Gespräch war, oder auch, daß es unter keinem günstigen Stern stand“, schreibt Hans-Georg Gadamer in seinem Hauptwerk „Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik“ (1960).

Gute Romane haben auch fast immer gute Dialoge. Als Beispiel fallen mir dazu die „Berliner Romane“ von Theodor Fontane (1819-1898) ein. „L’Adultera“ (1882), „Irrungen, Wirrungen“ (1888), „Stine“ (1890), „Frau Jenny Treibel“ (1893) oder „Die Poggenpuhls“ (1896). Was wir hier finden, sind gelungene Gespräche, die wichtig sind für den Fortgang der Handlung. Was wir hier auch noch finden, ist die gute alte Salonkultur: Treffen in gepflegter Atmosphäre, die dem Austausch, der Erfahrung und der Verständigung Raum gibt.

Fehlt uns dafür heute wirklich nur die Zeit oder inzwischen auch die Fähigkeit dazu?