In diesem Jahr ist ein großartiger Briefwechsel bei Suhrkamp erschienen. Es schreiben sich Theodor W. Adorno (1903-1969), der Frankfurter Philosoph, und Gershom Scholem (1897-1982), der renommierte jüdische Religionshistoriker. Beide Hochschullehrer, beide Intellektuelle auf der Höhe ihrer Zeit, beide brillante Denker. Und schon die ersten Sätze Adornos lassen einem das Herz aufgehen:
Er bedankt sich für einen Text, den Scholem ihm geschickt hatte. Diese Zusendung sei die größte Freude gewesen, die ihm ein Geschenk seit sehr langer Zeit bereitet habe. Und dann: „Sehen Sie in dieser Behauptung keine Unverschämtheit: völlig fern liegt es mir zu prätendieren, daß ich der Lektüre jener Schrift ernsthaft gewachsen mich zeigen könnte.“
Was für eine respektvolle Bescheidenheit. Was für eine schöne Geste dem Kollegen gegenüber. Und was schreibt Scholem in seinem nächsten Brief an Adorno?
„Entschuldigen Sie, daß ich heute nichts von Ihrem Kierkegaard-Buch spreche, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich es bisher noch nicht verstanden habe. […] Ich habe nur Stücke verstanden, die mich noch nicht in den Stand setzen, mir ein exaktes Bild Ihrer Position zu machen. […] Und so bin ich bisher nicht viel anders als mit aufgerissenen Augen, Mund und Ohren durch Ihr Buch spaziert und habe Sie viel eher bewundert als verstanden.“
Das ist Größe.