„Die Grenzen meiner Sprache…“

suter_blogEs besteht Grund anzunehmen, dass wir um so weniger denken können, je primitiver wir sprechen. Je weniger Mühe wir uns geben, uns sprachlich mitzuteilen, je einfallsloser unsere Sprache wird, desto plumper wird auch unser Denkvermögen. Und damit unser gesamtes Sein. Diese Idee hatten allerdings schon andere vor mir. Einer davon: der große Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889-1951). Er hinterlässt uns in seinem „Tractatus logico-philosophicus“ (1921) den brillanten Satz:

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“

Nun ist es aber heute gang und gäbe, sich auch sprachlich den Gruppen anzupassen – oder anzubiedern -, zu denen man gerne gehören möchte. Eine der beliebtesten Mimikrys, natürlich, Business-Deutsch. Viel Englisch ist da drin, gerne auch lateinische Fremdwörter. Wichtig außerdem: Abkürzungen. Das wirkt kraftvoll, forsch und erfolgreich. Mit Wittgenstein stellen wir uns aber nun einmal die Frage, ob jemand, der nur noch Business-Deutsch beherrscht, eigentlich noch ein ganzer Mensch ist, also noch er selbst. Oder ob nicht vielmehr weite Teile seiner Existenz den Dienst eingestellt haben könnten…

Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter (geb. 1948) zeigt uns literarisch, wie das dann aussieht. In seiner süffisanten „Business-Soap“ „Alles im Griff“ (2014) lernen wir solche Menschen kennen. Zum Beispiel Kurt Bäriswil, leitender Angestellter, der ein Picknick plant. Ein Familien-Picknick!

„Ein Picknick ist für eine Führungskraft wie Bäriswil eine ganz normale Managementaufgabe. Bestehend aus Planung, Delegation, Motivation et cetera pp. Die besondere Herausforderung ist allenfalls der Umstand, dass das Team vorwiegend aus Laien besteht. Monika, seine rechte Hand, neigt dazu, sich in den Planungsbereich einzuschalten und darüber ihre eigentlichen Aufgaben in den Bereichen Einkauf und Maintenance zu vernachlässigen. Luca (15) leidet unter Motivationsproblemen. Und Laura (13) sieht ihre Stärken eher außerhalb des Dienstleistungsbereichs.“

Nachdem Bäriswil nichts weiter gemacht hat, als seiner Familie aufzutragen, was eingekauft werden soll, und wann das Fleisch mariniert wird, delegiert er „das termingerechte Einfrieren der Kühlelemente“ an seinen Sohn, der das mit ‚Scheiße, schon wieder Picknick‘ kommentiert…

„Da die Motivation des Teams in der Planungsphase in Monikas Kompetenzbereich fällt, überhört Bäriswil die Bemerkung. Erst als das Statement am Durchführungstag selbst während der Beladung des Kofferraums – einer traditionsgemäß heiklen, undelegierbaren Projektphase – in verschärfter Form wiederholt wird (‚Fuckpicknick‘), beruft er kurzfristig ein improvisiertes Motivationsmeeting ein. Und stellt dank seiner emotionalen Kompetenz nach ziemlich kurzer Zeit eine essentielle Motivationskrise fest, die auch Monika (‚Können wir nicht einfach einmal ein faules Wochenende machen?‘) und Laura (‚Ich will nicht schon wieder im Wald sitzen und verbrannte tote Tiere fressen!‘) erfasst hat. Dabei stellt sich – nicht zum ersten Mal – heraus, dass sein familiäres Team einfach noch nicht reif ist für den kollegialen Führungsstil. Er sieht sich gezwungen, auf den autoritären zurückzugreifen. Und Bäriswil zieht das Picknick voll durch.“

Bäriswil braucht Hilfe! Philosophische Hilfe, denn: „Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.“ Auch ein Satz von Ludwig Wittgenstein. Diesmal aus den „Philosophischen Untersuchungen“ (posthum erschienen 1953).

Wirtschaft und Philosophie sollten sich also irgendwo in der Mitte begegnen… So muss es übrigens auch bei Wittgensteins zu Hause gewesen sein. Der Ökonom Friedrich August von Hayek (1889-1992), einer der bedeutendsten Vertreter des Liberalismus im 20. Jahrhundert, war nämlich Ludwig Wittgensteins Großcousin. Und die werden ihre Familientreffen ja auch irgendwie hinbekommen haben.