„Die haben sich alle gegenseitig doof angeguckt“

chanel_blogAuf einem sehr schönen Spätsommerfest dieses Jahres meyerhoffte es mal wieder gewaltig. Meine Freundin U. feierte ihren Geburtstag im Hamburger Jenisch-Park. Und schnell ging es wieder um Joachim Meyerhoff (geb. 1967). Das Multitalent. Den Burg-Schauspieler. Den Thalia-Schauspieler. Den begnadeten Schriftsteller. Vollkommen Meyerhoff-geschwängert war sozusagen die Luft. Welches seiner drei bisher erschienenen Bücher sei das beste? (Favorit war „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke, 2015) Wann kommt das vierte raus? Wer war wann auf einer Meyerhoff-Lesung? Wer hat da wen getroffen? Und wer hat Karten für die nächste?

Derweil grillte M., der wunderbare Mann meiner Freundin, hingebungsvoll Fleisch, Würstchen und irgendwas Veganes für irgendjemanden. Ihn fragten wir dann auch mal nach Meyerhoff…: Nee, habe er bis jetzt nicht gelesen. Wenn das alle gerade tun, würde ihn das einfach nicht interessieren. Überreizt. Vielleicht später… Reaktionen: „Ach so, aha, na ja…“

Ich fand es gut! M. steht nämlich in meiner Achtung schon ganz lange ganz weit oben. Er ist ein toller Mensch, er kennt das Leben in allen Farben und nicht nur in schwarz-weiß, ist ein liebevoller Ehemann und Vater und ein erfolgreicher Journalist. Der sagt sowas nicht einfach, weil er provozieren möchte. Der meint das so.

Menschen, die sich in ihrem Sein und Denken von modischen Hypes nicht irritieren lassen, sind schon etwas Besonderes. Mainstream mal Mainstream sein lassen. Ich glaube, diese Haltung ist einer der Schätze meiner Kindheit. Sie erinnert mich an meinen Vater, der vollkommen abseits jeder angesagten Strömung lebte.

Der Running Gag in unserer Familie ist das Outfit, das meine Mutter ihm 1971 andrehte: Die beiden fanden sich ein beim angesagten Herrenausstatter in Braunschweig. Wie auch immer es sich zutrug, sie kauften für meinen Vater ein birkengrünes Hemd, ein dunkelbraunes Jackett und eine beigefarbene Hose. Vermutlich muss er sich im Laden schon merkwürdig vorgekommen sein. Die echte Bestätigung kam aber dann, als er die Sachen zum ersten Mal in der Stadt trug… ALLE Männer hatten genau das an. Hellgrün. Dunkelbraun. Beige. Meine Mutter sagt heute: „Die haben sich alle gegenseitig doof angeguckt.“ Mein Vater hat das dann nie wieder angezogen. Bis das Thema durch war, erfand er Ausreden: zu warm, zu kalt, dem Anlass nicht entsprechend…

Mein Vater sah sowieso in den meisten Klamotten, die meine Mutter ihm kaufte, irgendwie komisch aus. (Ich musste das jetzt schreiben, Mama, obwohl ich weiß, dass Du das hier liest.) Am allerbesten sah er aus in einem hellblauen alten Bundeswehr-Hemd, Ärmel hochgekrempelt, und in einer alten Jeans, wenn er mit der Sense eine Wiese mähte. Das konnte er nämlich noch. Da war er da, wo er sein wollte, sah aus wie er selbst und tat, was er tun wollte. Mein Vater auf einem Aufsitz-Rasenmäher wäre schon ein grotesker Witz gewesen. Und zum Glück musste er nicht mehr erleben, dass heute dunkelgraue, piepende Plastik-Ratten als Roboter Flächen mähen, die überhaupt keine Wiesen mehr sind, sondern nur noch toter Rasen.

Und weil vielleicht wir Frauen der Mode doch noch ein bisschen eher verfallen als Männer, gibt es heute hier einen garstigen kleinen Kästner. „Sogenannte Klassefrauen“ heißt das Gedicht von Erich Kästner (1899-1974), das er 1930 schrieb:

 

Sind sie nicht pfuiteuflisch anzuschauen?
Plötzlich färben sich die Klassefrauen,
weil es Mode ist, die Nägel rot!
Wenn es Mode wird, sie abzukauen
oder mit dem Hammer blauzuhauen,
tun sie’s auch. Und freuen sich halbtot.

Wenn es Mode wird, die Brust zu färben,
oder falls man die nicht hat, den Bauch …
Wenn es Mode wird, als Kind zu sterben
oder sich die Hände gelbzugerben,
bis sie Handschuhn ähneln, tun sie’s auch.

Wenn es Mode wird, sich schwarzzuschmieren …
Wenn verrückte Gänse in Paris
sich die Haut wie Chinakrepp plissieren …
Wenn es Mode wird, auf allen Vieren
durch die Stadt zu kriechen, machen sie’s.

[…] Denn sie fliegen wie mit Engelsflügeln
immer auf den ersten besten Mist.
Selbst das Schienbein würden sie sich bügeln!
Und sie sind auf keine Art zu zügeln,
wenn sie hören, daß was Mode ist. […]

 

So, das war jetzt ein bisschen gemein, und dabei habe ich die beiden fiesesten Strophen sogar noch weggelassen. Eine Frage aber klären wir hier natürlich noch: Was liest denn M. gerade? Der Libertin, der Freigeist des Jenisch-Parks? … Einfach mal zwei Krimis aus diesem Jahr: „Fallwind“ von Till Raether und „Eisenberg“ von Andreas Föhr. Und eine zweite Sache klären wir auch noch: Ich finde Joachim Meyerhoff auch toll…