Dijon aus Henstedt-Ulzburg

Laut demSegeberg_Blog Aufkleber auf der Heckscheibe fuhr vorgestern im Auto vor uns ein Kind namens „Dijon“. Mein erster Gedanke, Sie ahnen es: …  Senf. Also… ich esse auch gerne, und trotzdem nenne ich meine Kinder nicht Nürnberg, Wien oder Krakau (um hier mal kulinarisch im Bild zu bleiben). Zweiter Gedanke, natürlich: …Wein. Bourgogne, Côte d’Or, Pinot noir, Chardonnay…

Der dritte Gedanke dann eher ernüchternd, nach dem Blick auf das Kennzeichen: „SE“. Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Neben der namensgebenden Top-Metropole Bad Segeberg gibt es dort weitere avantgardistische Hotspots wie Norderstedt, Kaltenkirchen und Henstedt-Ulzburg.

Dijon aus Henstedt-Ulzburg. Was soll man dazu sagen? Ein Vorname ist eines der prägnantesten Statements, das wir geben können. In einem einzigen Wort steckt eine ganze Welt. Politische Ansichten, religiöse Überzeugungen, Bildungsstand und sogar charakterliche Züge der Eltern lesen wir in einem einzigen Kindernamen. Nichts könnte treffender den geistigen Zustand einer Nation aufzeigen als die Vornamen, die sie ihren Kindern gibt.

Wir Deutschen scheinen da über lange Phasen unserer Geschichte unsere Mitte irgendwie nicht zu finden. Von anbiedernder Verbeugung vor dem Zeitgeist schlägt das Pendel oft direkt um in eine merkwürdige Überbetonung der eigenen Individualität. Zwischen 1933 und 1945 fanden wir Adolf, Horst, Bernd-Dietmar, Sigrun oder Karin gut. In den 60er Jahren langweilten wir massenweise mit Sabine, Silke, Monika und Petra.

Und 30 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus fingen wir dann an zu „jüdeln“, wie der jüdische Historiker Michael Wolffsohn (geb. 1947) schreibt („Die Deutschen und ihre Vornamen. 200 Jahre Politik und öffentliche Meinung“, 1999). Um 1975 habe nämlich „der große Zugriff auf den jüdischen Vornamenwortschatz“ begonnen: „Der Boom hebräisch-jüdischer Namen ist sicherlich sympathisch, gut gemeint und ehrenwert. Ist er aber nicht doch eher aufgesetzt, aufdringlich und unauthentisch? So unauthentisch wie der Gebrauch des Wortes „Schoah“ von Deutschen und anderen, die kein Hebräisch können?“

Heute bewegen wir uns wieder bieder unauffällig zwischen Mia, Emma und Hanna, Ben, Jonas und Leon. Oder wir protzen anglophil (und das soll, glaube ich, individuell wirken) mit Eliza Rose, Jason Maddox, Tyler, Brandon oder Caitlin. Und das besonders gerne, wenn unsere Englischkenntnisse nur mäßig sind.

„Weltoffenheit ist wunderbar und wünschenswert. Sie sollte aber nicht zum Verlust der eigenen Welt führen. Auf der Suche nach der Großen Welt verliert man möglicherweise eine kleine, eigene authentische Welt – und damit sich selbst“, räsoniert Michael Wolffsohn.

Öffentliche Äußerungen, egal in welchem Bereich und in welcher Position, sollten eben das Mittelmaß finden. Nicht Anmaßung, nicht Dünkel, nicht Angeberei. Aber auch nicht Anbiederung und Untergang in der Masse. Souveränität wäre gut. Schlichte Souveränität. Und der Gedanke an das schöne Zitat von Erich Kästner (1899-1974): „Am Rande des Erhabenen findet das Lächerliche statt.“