In kollegialem Verhältnis zur Dummheit

Musil_BlogIch habe das gesagt. Ich habe diesen blöden Satz wirklich gesagt. Unterwegs mit meiner Schulfreundin und den Kindern auf einer Gartenausstellung. Nachdem ich den Erwerb einer XXL-Hängematte für 2.300 Euro (heißt jetzt übrigens „Day-Bed“) und den eines Garten-Whirlpools für den „Preis auf Anfrage“ mit dem Hinweis auf den miserablen Sommer abwettern konnte, drängte mein Sohn mich zum Kauf zweier Gemüseschäler. Einen für mich, einen für ihn. Er ist Linkshänder. Und dann kam mein Satz: „Na gut, wir kaufen einen Linkshänderschäler und einen normalen.“

Tja! Mein Sohn kommentierte das nicht einmal, sondern verbesserte nur schlicht: „Wir kaufen einen Linkshänderschäler und einen Rechtshänderschäler.“ Er neun, ich Mitte vierzig. Er Grundschule, ich Doktorin der Philosophie. Zeit also, mal nachzudenken…

Wer hilft einem denn, wenn geistige Unzulänglichkeit einen hinterrücks überfällt? Gibt es Erklärungen? Gibt es Rat?… Zum Glück ja. Erste Wahl bei diesem Problem: Robert Musil (1880-1942). Der österreichische Schriftsteller war einer der klügsten seiner Zeit und hat uns mit seinem Opus Magnum „Der Mann ohne Eigenschaften“ (Teil I 1930) einen der wichtigsten Romane der deutschsprachigen Moderne geschenkt. Und, was wir dann heute auch noch unbedingt brauchen, Musils Essay „Über die Dummheit“ von 1937:

„Ich möchte auch nicht außer acht lassen, daß ich als Dichter die Dummheit noch viel länger kenne, könnte ich doch sogar sagen, ich sei manches Mal in kollegialem Verhältnis zu ihr gestanden!“, schreibt er. Und er erklärt uns, dass sich natürlich der „heimliche einzelne Mensch in seinen Gedanken als überaus klug und wohlausgestattet ansieht“. Und dass diese Überheblichkeit sich noch schneller Bahn bricht, sobald wir uns im Schutz einer Gruppe fühlen: „Namentlich ein gewisser unterer Mittelstand des Geistes und der Seele ist dem Überhebungsbedürfnis gegenüber völlig schamlos, sobald er im Schutz der Partei, Nation, Sekte oder Kunstrichtung auftritt und Wir statt Ich sagen darf.“

Was für das 20. Jahrhundert galt, gilt natürlich heute um so mehr. Wir sind beeinflusst von Konventionen, Moden, Ideologien und einem unüberschaubaren Mix aus Werbung und Lobbyismus. Das zu tun und zu sagen, was alle anderen auch tun und sagen, ist so wahnsinnig einfach. Vielleicht sollten wir uns zwischendurch mal eine Gegenfrage stellen: „Würde ich diese Meinung auch vertreten, wenn niemand sonst mich unterstützte? Nicht meine Kollegen, nicht mein soziales Umfeld, nicht die Nachbarn, nicht die Familie? Wäre das dann auch meine Überzeugung?“ Dann könnten wir der Wahrheit vielleicht einen Schritt näher kommen.

Wir müssen also nicht damit rechnen, als angepasstes Mitglied einer Massen- und Konsumgesellschaft im Laufe unseres Lebens klüger zu werden. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Robert Musil bringt es in „Der Mann ohne Eigenschaften“ auf den Punkt: „Es muß der Mensch in seinen Möglichkeiten, Plänen und Gefühlen zuerst durch Vorurteile, Überlieferungen, Schwierigkeiten und Beschränkungen jeder Art eingeengt werden wie ein Narr in seiner Zwangsjacke, und erst dann hat, was er hervorzubringen vermag, vielleicht Wert, Gewachsenheit und Bestand.“

Also, machen wir uns nichts vor: Es gilt für uns alle der Satz aus der „Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann: „Pfeiffer, Se werden ämmer dömmer.“ Bei Musil heißt das: „Und schließlich wäre auch noch einzuwenden, daß sich gelegentlich keiner so klug verhält, wie es nötig wäre, daß jeder von uns also, wenn schon nicht immer, so doch von Zeit zu Zeit dumm ist.“

Soweit die Bestandsaufnahme… und die Hilfe?… Bei Musil: „das letzte und das wichtigste Mittel gegen die Dummheit ist die Bescheidung“:

„Gelegentlich sind wir alle dumm; wir müssen gelegentlich auch blind oder halbblind handeln, oder die Welt stünde still; und wollte einer aus den Gefahren der Dummheit ableiten: ‚Enthalte dich in allem des Urteils und des Entschlusses, wovon du nicht genug verstehst!‘, wir erstarrten! […] Denn weil unser Wissen und Können unvollendet ist, müssen wir in allen Wissenschaften im Grunde voreilig urteilen, aber wir bemühen uns und haben es erlernt, diesen Fehler in bekannten Grenzen zu halten und bei Gelegenheit zu verbessern, wodurch doch wieder Richtigkeit in unser Tun kommt. Nichts spricht eigentlich dagegen, dieses exakte und stolz-demütige Urteilen und Tun auch auf andere Gebiete zu übertragen; und ich glaube der Vorsatz: Handle, so gut du kannst und so schlecht du mußt, und bleibe dir dabei der Fehlergrenzen deines Handelns bewußt! wäre schon der halbe Weg zu einer aussichtsvollen Lebensgestaltung.“

Nachsicht ist also angesagt. Jeder ist mal dumm. Wir selbst und die anderen auch. Trotzdem müssen wir so oft wie möglich versuchen, es zu verhindern. Und vielleicht ist es dabei auch nicht so schlecht, die Welt ab und zu mal wieder mit den unverblendeten Augen und dem unkorrumpierten Verstand eines Kindes zu sehen…