Fragen über Fragen

frisch_fragenWenn Benjamin Sadler aus der Schule kam, wollte seine Großmutter jeden Tag eines von ihm wissen: „Hast Du eigentlich heute eine kluge Frage gestellt?“. „Und das ist eigentlich der Maßstab“, sagt der Schauspieler („Rommel“ 2012, „Anna Karenina“ 2013, „Das Programm“ 2016) heute (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31. Januar 2016).

Erstens lernen wir hier einmal mehr, dass gute Schauspieler erstaunliche Großmütter haben. Auch Joachim Meyerhoff, Burgschauspieler und Ensemble-Mitglied des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, setzt seiner Großmutter in seinem jüngsten Buch ein großartiges Denkmal („Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“, 2015). Lesen Sie das, bitte! Das Buch ist komisch, ohne trivial zu sein und stilistisch über jeden Zweifel erhaben.

Zweitens sehen wir: Kluge Fragen sind besser als zu frühe fertige Urteile. Das gilt im Leben wie in der Literatur: Weiter geht es da, wo Fragen gestellt werden. Kluge Menschen fragen, gute Literatur lässt Fragen offen…

Einer der großen Fragenden in der deutschsprachigen Literatur war der Schweizer Schriftsteller Max Frisch (1911-1991). Erinnern Sie sich, vielleicht aus Schulzeiten, noch an seine „Fragebögen“? Elf Stück davon hat er in sein „Tagebuch 1966-1971“ eingestreut. Frisch fragt dorthin, wo es unbequem ist. Es geht um Geld, Ehe, Hoffnung, Freundschaft, Kinder. Er fragt so, dass man gedanklich bald unruhig auf der Stuhlkante hin und her rutscht. Dass man die Antwort, die man gerne geben würde, doch nicht so durchgehen lassen kann. Oft gibt es auch gar keine klare Antwort. Oder nicht nur eine.

Max Frischs Fragen sind meistens kurz und wirken dadurch harmlos. Zum Beispiel: „Welche Hoffnung haben Sie aufgegeben?“ Oder: „Möchten Sie Ihre Frau sein?“. „Halten Sie sich für einen guten Freund?“.  Und die folgende Frage lässt sich auch zunächst unkompliziert an: „Haben Sie schon gestohlen?“ Unter a) und b) geht es um Bargeld, Blumen und Handtücher im Hotel. Aber unter c) fragt er: „eine Idee?“… Also gibt es heute in Anlehnung an Max Frisch ein paar Fragen. MaxFrisch@work, sozusagen…

Halten Sie sich für einen guten Vorgesetzten?

Möchten Sie Ihr Geschäftspartner sein?

Möchten Sie Ihr Mitarbeiter sein?

Wenn ja, warum? Wenn nicht, warum nicht?

Was würden Sie einem Kollegen oder Mitarbeiter nicht verzeihen: Doppelzüngigkeit? Ironie auch Ihnen gegenüber? Dass er keine Kritik verträgt? Dass Sie keinen Einfluss auf ihn haben?

Wieviel Aufrichtigkeit von Kollegen und Mitarbeitern ertragen Sie in Gesellschaft oder schriftlich oder unter vier Augen?

 

 

P.S.: Die Klasse 3d meines Sohnes hat wirklich zum Halbjahr keine Zeugnisse bekommen! (Anders als im letzten Beitrag befürchtet „Einfach mal machen lassen„). Es gab stattdessen ein „Lernentwicklungs-Gespräch“. Besetzung: Lehrerin, Eltern, Kind. Und auch da wurden Fragen gestellt: „Arbeitest du selbständig?“, „Verhältst du dich anderen gegenüber freundlich?“, „Kannst du zuhören und etwas dazu sagen?“ oder „Siehst du ein, wenn du Fehler gemacht hast und änderst dein Verhalten?“. Wie ein Personalgespräch. Antwortmöglichkeiten: Doppel-Smiley, Smiley, Baustelle, Doppel-Baustelle. Ich muss ihn unbedingt noch fragen, wo er sich so am Ende des Schuljahres sieht…