Was für eine schöne Vorstellung: Der kreative Schriftsteller, dem alle Gedanken nur so zufliegen. Der leichtfüßig Zeile um Zeile aufs Papier bringt und der vor Inspiration nur so sprüht. Die Wirklichkeit sieht aber leider anders aus. Thomas Mann beschreibt in seiner Erzählung „Tristan“ (1903) das Literatendasein so:
„Die Worte schienen ihm durchaus nicht zuzuströmen; für einen, dessen bürgerlicher Beruf das Schreiben ist, kam er jämmerlich langsam von der Stelle, und wer ihn sah, mußte zu der Anschauung gelangen, daß ein Schriftsteller ein Mann ist, dem das Schreiben schwerer fällt als allen anderen Leuten.“ Detlev Spinell heißt der arme Wurm hier, der einfach nicht vorankommt. Seine Arbeitsweise ist quälend. Ewige Viertelstunden lang zwirbelt er an seinen Barthaaren, „indem er ins Leere starrte und nicht um eine Zeile vorwärtsrückte, schrieb dann ein paar zierliche Wörter und stockte aufs neue.“
Auch Gustav Aschenbach, der Protagonist in Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ (1912), ist Schriftsteller. Er hat es auch nicht leichter. Er spürt „einen Drang hinweg vom Werke“ und ficht einen „fast schon entnervenden, sich täglich erneuernden Kampf zwischen seinem zähen und stolzen, so oft erprobten Willen und dieser wachsenden Müdigkeit, von der niemand wissen und die das Produkt auf keine Weise, durch kein Anzeichen des Versagens und der Laßheit verraten durfte“.
Thomas Mann hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass ihn das Schreiben anstrengte: „Das Schreiben wurde mir immer schwerer als anderen, alle Leichtigkeit ist da Schein“. Was war denn dann sein Rezept für das beeindruckende Werk, das er schuf?
Es war die Disziplin. An seinen Romanen und Erzählungen hat er täglich zwei oder drei Vormittagsstunden geschrieben und dabei selten mehr als eine Seite zu Papier gebracht. Aber er hat es jeden Tag getan. Sein Lebenswerk hat Thomas Mann, so heißt es ebenfalls in „Der Tod in Venedig“, „in kleinen Tagewerken aus aberhundert Einzelinspirationen zur Größe emporgeschichtet“.
Auch von dem unermüdlichen Erfinder Thomas Alva Edison wissen wir es: „Erfinden: ein Prozent Inspiration – neunundneunzig Prozent Transpiration“. Und Friedrich Nietzsche (1844-1900) nimmt uns in „Menschliches, Allzumenschliches“ komplett den Glauben an plötzliche Eingebungen des Künstlers: „als ob die Idee des Kunstwerks, der Dichtung, der Grundgedanke einer Philosophie wie ein Gnadenschein vom Himmel herableuchte.“
In Wirklichkeit, so Nietzsche, produzieren auch hervorragende Künstler ständig Gutes, Mittelmäßiges und Schlechtes. Da komme es vor allem auf eine geschärfte Urteilskraft an, zum „Verwerfen, Sichten, Umgestalten, Ordnen“.
Und das ist doch tröstlich! Auch den ganz erfolgreichen Kreativen fliegt nicht einfach alles zu. Auch sie sind fleißige Arbeiter und rational Urteilende. Dieses Wissen immerhin kann uns den Rücken stärken, wenn wir manchmal ideenlos vor anspruchsvollen Aufgaben stehen.