„…dann wäre etwas Besseres aus mir geworden…“

die Manns_bWir können uns die Familie Mann als ein mittelständisches Familienunternehmen vorstellen. Allerdings mit miserabel vorbereiteter und problematischer Generationennachfolge. Der Alte (Thomas Mann also) gründete im Jahr 1901 mit seinem großen Erfolgsroman „Buddenbrooks“ die Firma. Und blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1955 die unumstrittene Nummer eins. Alles drehte sich um ihn. Nur um ihn. Aber um welchen Preis?

Schon in der Gründergeneration gibt es beträchtliches verschenktes Potenzial. Thomas‘ Frau Katia (1883-1980) stammte aus einer der reichsten Familien Münchens. Die 1500 Quadratmeter große Villa ihrer Eltern – so groß war die Villa, nicht das Grundstück! – war der gesellschaftliche Mittelpunkt der Stadt. Katia hatte alle Möglichkeiten: Sie bestand 1901 als erste Frau Münchens das Abitur und begann dann, auch als eine der ersten Frauen der Stadt, ein Studium der Mathematik und Naturwissenschaften. Mit besten Aussichten. Und dann? Ab 1905 war sie plötzlich „Frau Thomas Mann“. Und nur als die wird sie in Erinnerung bleiben. Mit 90 Jahren sagte Katia Mann: „Ich habe in meinem Leben nie tun können, was ich hätte tun wollen.“

Und die zweite Generation? Sechs Kinder hatten die Manns: Erika, Klaus, Golo, Monika, Elisabeth und Michael. Und die berechtigten immerhin zu einigen Hoffnungen. Sie hatten Talente im literarischen Bereich, im journalistischen, im schauspielerischen, im musikalischen, im geisteswissenschaftlichen. Jetzt wäre also die „Erziehung zur Nachfolge“ angesagt gewesen, wie es in der Mittelstandsforschung so oft heißt . Leider aber – totale Fehlanzeige!

Tilmann Lahme beschreibt in seinem neuen Buch „Die Manns. Geschichte einer Familie“ an etlichen Beispielen, wie unglaublich schlecht die Mann-Kinder erzogen wurden. Klaus und Erika, die ältesten, terrorisierten als Jugendliche mit ihrer Bande das ganze Viertel. Im Repertoire: Telefonstreiche, immer geschicktere Ladendiebstähle, schließlich ein Fest, dass sie ausschließlich mit gestohlenen Lebensmitteln bestritten. Erzählten sie den Eltern, sie seien „in Thüringen wandern“, zogen sie in Wirklichkeit durch das Berliner Nachtleben. In den teuersten Restaurants und exklusivsten Nachtclubs Münchens waren sie Stammgäste. Ein Verhältnis zu Geld hatten sie auch als junge Erwachsene noch nicht. Von den Eltern schon großzügig ausgestattet, verlangten sie mit beharrlicher Dreistigkeit immer noch mehr.

Die Eltern wollten oder konnten es nicht sehen. Klaus, der auf keiner Schule zurechtkam, wurde im Internat Salem als „überaus manieriert“ und „selbstgefällig“  empfunden. Katia Mann fand hingegen, der Schulleiter sei „bis zur Erschütterung begeistert“ gewesen von ihrem Sohn. Am Ende machte Klaus dann gar kein Abitur. Die Eltern kümmerte das wenig. Thomas Mann hat sich sowieso nie für die schulischen Belange seiner Kinder interessiert, und Katja schrieb lapidar: „Wenn es dem Jungen so entsetzlich contre cœur ist“, habe es eben keinen Zweck, darauf zu bestehen. Und als der 17-jährige Michael auf dem Züricher Konservatorium seinen Geigenlehrer ohrfeigt und daraufhin rausfliegt, wird das in der Familienkorrespondenz als kleines „Rencontre“ bagatellisiert.

Um Monika, das mittlere Mädchen, kümmerte sich auch keiner. Sie war die ständige Außenseiterin. Man nahm es hin, dass sie von „liebenswerter Dummheit“ sei und „stumpfsinnig“ in die Schule trotte. Golo, den mittleren Jungen, traf es noch schlimmer. Ihm wurde von den Eltern mit unverhohlener Ablehnung begegnet. Thomas Mann schreibt in seinen Tagebüchern zum Beispiel vom „lügnerischen Golo“ und seiner „Falschheit“. Seine Frau nennt schon den kleinen Vierjährigen den „charakterlosen Golo“.

Zur Laxheit in der Erziehung kam also auch noch die Ungleichbehandlung der Kinder. „Ich hatte Gefallen an Erika und Klaus, stellte wieder fest, daß ich von den Sechsen drei, die beiden Ältesten und Elisabethchen mit seltsamer Entschiedenheit bevorzuge“, schrieb Thomas Mann 1920 in sein Tagebuch.

Was folgte, war viel Leid hinter der schillernden Fassade. Jedes der beruflich erfolgreichen sechs Kinder trug seine kleinen oder großen Tragödien mit sich. Klaus Mann, einer der begabtesten jungen Schriftsteller der Weimarer Republik, nahm sich mit 42 Jahren das Leben. Michael starb ebenfalls an einer Mischung aus Alkohol und Schlafmitteln. Golo Mann, einer der meistgelesenen deutschen Historiker, zuckte noch als alter Mann zusammen, wenn der Name seines Vaters fiel. Monika litt schon früh unter Depressionen und lebte Zeit ihres Lebens aus dem Koffer.

So haben wir zwei Wahrheiten über die Familie Mann. Die erste liest sich bei Marcel Reich-Ranicki so: „Ich glaube, dass es in Deutschland im 20. Jahrhundert keine bedeutendere, originellere und interessantere Familie gegeben hat als die Manns.“ Und die zweite formulierte Golo Mann so: „Also, daß ich dem Elternhaus unendlich viele Anregungen verdanke, liegt auf der Hand. Ich würde dennoch sagen: Wenn ich als Neugeborenes in der Klinik verwechselt worden wäre und wäre in einem normalen, gesunden, schlichten Bürgerhaus aufgewachsen, dann, glaube ich, wäre etwas Besseres aus mir geworden, als tatsächlich aus mir geworden ist. Das glaube ich in der Tat.“