„Ich kann das nicht. Aber ich mache es trotzdem!“

„Hast du ein Gärtchen und eine Bibliothek, so wird dir nichts fehlen.“ Dieses Zitat von Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.), dem römischen Philosophen und Redner, hat sich vor ein paar Tagen mal wieder bestätigt. Vor allem die Tatsache, dass man in einem Garten fast so viel lernen kann wie in einer Bibliothek. Ich meine jetzt nicht die Weisheiten über den ewigen Kreislauf der Natur, über Werden und Vergehen und so weiter. Ich meine knallharte alltagstaugliche Lebensweisheiten. Jedenfalls funktioniert das dann, wenn der Nachbargarten eine Schaukel, ein Planschbecken und einen alten Schuppen hat, auf den man draufklettern kann. Dort tuschelt man nicht diskret, dort geht es zur Sache. Und das ist das Beste daran: Kindern zuzuhören, die sich unbeobachtet fühlen. Neulich waren drei Mädchen dort, die sich gegenseitig beibringen wollten, wie man am höchsten schaukelt und dann am coolsten abspringt. Allerdings zeigte sich schon bald das Problem einer Dreierkonstellation: Zwei Mädchen konnten natürlich alles total toll, und die dritte wurde nach und nach zum Loser degradiert: „Du musst viel später springen.“ „Du musst viel eher loslassen.“ Du musst dies, du musst jenes. Und irgendwann wurde das der kleinen M., (6), zu viel. Da platzte sie heraus: „Ja! Ich weiß! Ich kann das nicht! Aber ich MACHE es trotzdem!“ Allein für diesen brillanten Satz hat es sich gelohnt, endlich mal wieder die Terrasse zu fegen.

Ich war in dem Alter viel zu schüchtern, um so zu denken, und leider bin ich es auch heute noch oft. Wie oft verfalle ich noch dem Gedanken, dass es sich nur lohne, Dinge zu tun, die ich richtig gut kann. Dass alles andere peinlich sei. Und das ist vollkommener Quatsch! Ich war damals eine der Schülerinnen, die sich im Französischunterricht immer erst gemeldet haben, wenn sie die zwei, drei Antwortsätze im Kopf schon perfekt durchdekliniert hatten. Bis ich damit fertig war, hatten sich aber Thomas, Oliver oder Frank schon längst gemeldet, um irgendeinen Mumpitz von sich zu geben. Und leider hatten die auch immer eine viel bessere mündliche Note als ich. Und wahrscheinlich hatten die auch viel mehr Freude an Französisch als ich, weil sie viel lockerer waren und nicht so verklemmt rumgegrübelt haben.

Man kann auch mit viel Spaß Dinge tun, die man überhaupt nicht kann. Ich erinnere mich an einen Abend mit Tante K. vor etlichen Jahren, sie war damals ungefähr 85 Jahre alt. Gerade kam sie von einem Golfurlaub aus Portugal zurück und erzählte mit einer so ansteckenden Fröhlichkeit, dass ihr Golflehrer ihr mehrfach gesagt habe, sie sei wirklich die miserabelste Schülerin, die er je gehabt habe. Dann lachte sie schallend darüber und kippte ihren Fernet Branca runter. Diese Lebenseinstellung funktioniert offenbar, denn Tante K. ist heute 97 und immer noch fröhlich.

„Fake it till you make it“ oder „Act as if“ – los geht’s! Entweder, weil wir es wollen und Freude daran haben, oder weil wir es müssen, es hilft. Meine Freundin M. hat als Kind eine ganze Sprache gefakt! Sie ist in Hannover geboren und aufgewachsen, und als sie 11 Jahre alt war, kamen ihre Eltern auf die unerklärliche Idee, sie solle ab jetzt bei den Großeltern in Sarajevo leben. Fortan musste sie also im damaligen Jugoslawien zur Schule gehen. Serbokroatisch? Fehlanzeige! Konnte M. überhaupt nicht, nur ein paar wenige Worte. Neben den lateinischen Buchstaben konnte sie zwar auch die kyrillischen lesen, aber das war auch schon alles. Sie konnte sich überhaupt nicht unterhalten: „Ich wusste nicht, was die von mir wollten, und ich konnte auch nichts sagen.“ Und dann profitierte sie von ihrem fotografischen Gedächtnis. Sie lernte damit Texte aus Schulbüchern auswendig, von denen sie nichts, aber auch gar nichts, verstand. Und dann sagte sie die auf. Sie fakte also serbokroatisch, bevor sie es verstand. Und irgendwann, ganz schleichend, begann sie, zu verstehen, was sie sagte. Und dann konnte sie es nach einiger Zeit tatsächlich. Langsam, immer besser, richtig gut.

„Fake it till you make it“, das rät uns auch Aristoteles. Der große griechische Philosoph (384-322 v. Chr.) schreibt in seiner „Nikomachischen Ethik“: „Die Tugenden dagegen erlangen wir nach vorausgegangener Tätigkeit, wie dies auch bei den Künsten der Fall ist. Denn was wir tun müssen, nachdem wir es gelernt haben, das lernen wir, indem wir es tun. So wird man durch Bauen ein Baumeister und durch Zitherspielen ein Zitherspieler. Ebenso werden wir aber auch durch gerechtes Handeln gerecht, durch Beobachtung der Mäßigkeit mäßig, durch Werke des Starkmuts starkmütig.“

Wir können Aristoteles lesen. Aber wir können auch einfach in den Garten gehen. Wir sollten dann aber unbedingt darauf achten, dass eine Schaukel und ein Planschbecken in der Nähe sind. „Denken Sie an den betrübenden Kontrast zwischen der strahlenden Intelligenz eines gesunden Kindes und der Denkschwäche des durchschnittlichen Erwachsenen“, schreibt Sigmund Freud in „Die Zukunft einer Illusion“ (1927).