„Ihr Schicksal entscheidet sich in Ihnen“

regalwand_mann_blogThomas Mann war Business Coach! Was ihn so sympathisch macht – neben seinem literarischen Werk – ist seine Korrespondenz. Rund 25.000 Briefe Thomas Manns sind inzwischen bekannt. Wie viele mehr er außerdem verschickt hat, wissen wir nicht.

Natürlich schrieb Thomas Mann (1875-1955) den Größen seiner Zeit: Schriftstellerkollegen wie Döblin, Feuchtwanger, Hauptmann, Hesse, Schnitzler oder Zweig. Auch an Albert Einstein und Franklin D. Roosevelt. Aber er war sich auch nicht zu schade, sich völlig Unbekannten zuzuwenden. Zumal, wenn sie in einer Notlage waren.

Genau heute vor 90 Jahren, am 27. September 1925, gab es so einen Fall. Thomas Mann schrieb jemandem zurück, der beruflich nicht mehr weiterwusste. Dieser Karl Bohm war Arzt, was er nicht mehr sein wollte. Er wollte lieber Schriftsteller sein, was er aber nicht sein konnte (offenbar gab es da im Umfeld wenig Zuspruch). Und nun hatte er Thomas Mann in seiner Verzweiflung gefragt , wie er sein „verfehltes Leben“ noch irgendwie „nutzbringend verwerten“ könne.

Keine leichte Aufgabe für den weltberühmten Autor…

 

Und der schreibt dann auch zunächst vorsichtig: „Ich halte es nicht für erlaubt, in dieser Weise einem Fremden die Entscheidung über das eigene Sein oder Nichtsein zuzuschieben. Wie aber nun die Dinge liegen, bin ich selbstverständlich verpflichtet, Sie von Gewaltthaten gegen sich selbst nach Kräften abzuhalten.“

Also fragt er den Unglücklichen, ob denn nicht beides gehe. Medizin und Poesie. Warum er seine „künstlerisch-literarischen Wünsche als einen so lebenswidrigen Widerspruch“ zu seinem ärztlichen Beruf empfinde. Schließlich: „Einer unserer ersten Erzähler, Alfred Döblin, ist Armenarzt im Norden Berlins.“

Und sollte es mit Bohms Schriftstellerei, auch nebenberuflich, gar nicht klappen? „Wenn man Ihnen Ihre Unberufenheit zu künstlerischer Produktion glaubwürdig bescheinigt hat, so resignieren Sie wie ein Mann und wenden Sie sich anderen Formen und Möglichkeiten des sittlichen Handelns und der Selbstvollendung zu. […] Gehen Sie nach Leipzig, Berlin, einer anderen großen Stadt und üben Sie, wenn auch ohne viel äußere Ehre, Ihren ärztlichen Beruf aus, um Ihr sittliches Selbstbewusstsein wiederzufinden. Geht es nicht in Europa, so geht es in Amerika. Wenn Sie zugrunde gehen, so werden nicht objektive erdrückende Umstände daran schuld sein, sondern einzig Hypochondrie und Willensschwäche. Ihr Schicksal entscheidet sich in Ihnen; […]“ 

Ein Ferncoaching von Thomas Mann! Entscheidungen treffen, Alternativen finden, souverän handeln, Selbstzweifel und Denkblockaden überwinden – das schlägt er hier in gewohnt schönster Sprache vor.

Und was ist dann aus Karl Bohm geworden? Er hat tatsächlich zwei Jahre später ein Buch veröffentlicht. Im Selbstverlag. („Hieronymus Hünerbein.  Eine Greifswalder Studentengeschichte.“) Über die Qualität müssen wir hier vielleicht nicht reden, aber: Er hat es gemacht!!