Internal Audit

In der vergangenen Woche hatten wir interne Revision. Oma, (76), war da. Eigentlich anlässlich eines Enkelgeburtstags, aber natürlich lässt sie es sich nicht nehmen, wenn sie schon mal da ist, angelegentlich zu gucken, wie der Laden so läuft. Der Geburtstagsenkel wurde verschont, aber M., (6), sollte mal zeigen, wie gut sie schon lesen kann: „Hol‘ mal deine Fibel.“ Als erstes missfiel die Fibel. Oma fragte, warum Erstklässler heutzutage eigentlich so einen Blödsinn lesen müssen wie „Ela malt Tante Ina“ oder „Alle planen. Iiii, lila Linien im Plan!“ Wusste ich auch nicht.

Dann las M. vor – wenn man das so nennen kann. Jedenfalls versuchte sie, ihr bekannte und ihr weniger bekannte Buchstaben aneinanderzureihen. Es war noch nicht so ganz bühnenreif … Das Ende eines Satzes, das „sagte sie“ hieß, wurde bei M. zu „sackte sieh-ee“. Oma fragte, was „sackte sieh-ee“ denn, bitte schön, heißen solle. Das Wort „sieh-ee“ gebe es doch im Deutschen außerdem gar nicht. M. konterte, doch, das Wort gebe es wohl, zum Beispiel bei „Sieh-ee, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“. (Vielleicht spielt M. in diesem Jahr beim Krippenspiel endlich mal kein Schaf.)

Trotzdem war dann an dieser Stelle das Internal Audit beendet. Oma hatte genug gehört, und trotz der Komplexität des Projektes konnte sie den Status quo zeitnah evaluieren: „Meike, das geht so nicht. Du konntest Weihnachten 1976 schon aus der Zeitung vorlesen.“ (Blöd, dass Omas sich immer auf historische Ereignisse beziehen können, die schon so ewig zurückliegen.) „Ihr müsst jetzt jeden Tag zehn Minuten lesen üben.“

Klare Arbeitsanweisung! Der nächste Revisionstermin liegt schon zwischen dem 24. und 26. Dezember. Spätestens dann werden wir Oma belegen müssen, dass sich unsere Prozesse optimiert haben und unsere Effektivität sich gesteigert hat. Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren! Das Schlagwort der Stunde heißt „Fleiß“!

Es gibt ja in der Literatur unzählige kleiner Verslein, die einem klarmachen wollen, dass Disziplin ganz von alleine komme, wenn man nur jeden Morgen frohgemut aufstehe. Dieser hier zum Beispiel, ein munterer Goethe (1749-1832) von 1816:

„Drum übe dich nur Tag für Tag,
Und du wirst sehn, was das vermag!
Dadurch wird jeder Zweck erreicht,
Dadurch wird manches Schwere leicht,
Und nach und nach kommt der Verstand
Unmittelbar dir in die Hand.“

Und der mecklenburgische Kollege Ernst Moritz Arndt (1769-1860) dichtete ebenso tatenlustig:

„Wer im Großen siegen will,
sei im Kleinen fleißig;
von eins zwei kommt man zu drei,
von dem Drei zu Dreißig.“

Ja, gut … das versuchen wir dann mal. Und holen uns weitere Motivation, um ins Tun zu kommen, beim Meister der Arbeitsdisziplin, Thomas Mann (1875-1955). Um sein riesiges Werk zu erschaffen, hat er sich konsequent jeden Tag an den Schreibtisch gesetzt. 1928, der Nobelpreis stand kurz bevor, schrieb er in dem kleinen Text „Zur  Physiologie des dichterischen Schaffens“:

„Ich arbeite vormittags, etwa von neun bis zwölf oder halb ein Uhr, täglich, mit seltenen Ausnahmen. Das ist nicht Zwang, sondern Gewohnheit, und eine notwendige; denn will ich etwas zustande bringen, so darf ich nicht viel Ferien machen. Übrigens halte ich es aus Erfahrung mit Baudelaire: ‚L’inspiration est sans doute la sœur du travail jounalier.“

Die Inspiration ist ohne Zweifel die Schwester der täglichen Arbeit! Also, warten wir nicht auf den Geistesblitz, sondern fangen einfach an … „Ela malt Tante Ina.“ … Heute, morgen, übermorgen …