Nein, das machen wir nicht!

zwiebeln_barnes_blogEndlich mal ein wahres Wort! Die Ära der neuen Ehrlichkeit bricht an! Eine Frau schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch! Elisabeth Raether, Politik-Redakteurin der ZEIT und Rezeptkolumnistin im ZEITmagazin äußerte neulich zum wiederholten Male eine Ungeheuerlichkeit. Sie gab zu, „dass mich manchmal beim Anblick einer Zwiebel, die ich schneiden muss, ein Gefühl bleierner Müdigkeit überkommt. Vor meinem inneren Auge erscheint dann das Bild des Bergs an Zwiebeln, die ich in meinem Leben schon geschnitten habe, und gleich daneben ragt der Berg von Zwiebeln empor, die ich noch werde schneiden müssen.“ (ZEITmagazin, Nr. 43/2016)

Diese Sentenz geht dann in das Rezept für eine Karottensuppe über, das mit einer einzigen grob gehackten Zwiebel auskommt. Und das erinnert mich an das wunderbare Buch von Julian Barnes „Fein gehackt und grob gewürfelt. Der Pedant in der Küche“ (2004). Julian Barnes (geb. 1949), ist „der vielseitigste und eleganteste Romancier, den England heute hat“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.6.2016). In diesem Buch, in dessen Essays es vermeintlich nur ums Kochen geht, gibt er uns Tipps fürs Leben.

Er beschreibt verschiedene Koch-Charaktere, warnt vor Fallstricken, auch mitmenschlichen, und erinnert sich an Katastrophen wie Glücksfälle. Er macht sich hemmungslos lustig über die missratenen Gerichte anderer: „Ich finde, darüber dürfen wir ruhig lachen, ja, sogar selbstgefällig in uns hineinkichern. Wir haben uns alle schon ziemlich lachhafte Blödheiten geleistet – […] aber so lachhafte denn doch nicht.“ Und auch eigene Missgeschicke verschweigt er nicht. Was eine Tomatensuppe hatte werden sollen, wurde „Grießbrei mit ein paar unauflöslichen Klumpen am Boden. Er schmeckte wie zu Nahrungszwecken aufbereiteter Tapetenkleister“.

Die beste Geschichte des Buches heißt „Nein, das mach ich nicht“. Es geht um, vermutlich erstmal harmlose, Penne mit Tomaten und Muskat. Aber dann: „Doch zunächst musste ich mich über den ersten Satz des Rezepts hinwegsetzen: ‚2,5 kg reife Kirschtomaten, halbiert und entkernt.‘ Das sind fünf Pfund Kirschtomaten. Und wie viele dieser verfluchten Kügelchen hat so ein Pfund? Ich werd’s Ihnen sagen: Ich hab gerade 15 abgewogen, und das waren ziemlich genau 113 Gramm. Macht 66 pro Pfund. Das sind also 330 Tomaten, halbiert, macht 660 safttriefende Hälften, dann 660-mal mit einem Messer die Kerne herauspulen und bangen, ob man auch jeden einzelnen erwischt. Und nun alle: NEIN, DAS MACHEN WIR NICHT.“

Wir sollten uns über Dinge, die uns unrealistisch, nicht machbar, viel zu zeitaufwendig, aberwitzig oder widersinnig vorkommen, einfach öfter mal hinwegsetzen. Egal, wo sie uns begegnen.

Aber, um mal bei den Rezepten zu bleiben: Da sind zum Beispiel diese ambitionierten Food-Blogs. Die Zutatenlisten anorektischer Veganerinnen beginnen unter Umständen mit „fünf Teelöffel Kürbispüree“. Oder wir brauchen dringend „Kokosjoghurt“, den wir aus Kokosmilch sechs Tage lang fermentieren müssen. Oder glutenfreie Reisnudeln. Und natürlich geht heute nichts mehr ohne diese kleinen glibberigen Chia-Samen. Dann haben wir noch die Gegenfraktion, die eher die These „Fleisch ist mein Gemüse“ vertritt. Ein Food-Blogger aus diesen Reihen empfiehlt seinen Lesern in seinem jüngsten Beitrag, nach der Arbeit noch ein paar Koteletts plattzuklopfen. Ein schönes Essen „für einen Abend unter der Woche“ seien Schweinekoteletts in Tomatensoße, heißt es dort munter, wenn auch stilistisch etwas unbeholfen. Aha! Wäre ich jetzt so auch nicht drauf gekommen. Und auch dort wieder unzählige Berge von Kleingehacktem: Zwiebeln, Petersilie, Knoblauch, Speck… Dazu sollen wir dann auch noch Tomaten blanchieren und schälen: „Die Tomaten vor dem Blanchieren kreuzweise einschneiden.“ Wenigstens steht da nichts von Entkernen. „Kreuzweise“ ist hier allerdings ein schönes Stichwort… Und nun alle: Nein, das machen wir nicht.

Stellen Sie sich mal vor, Julian Barnes würde allabendlich in seiner Küche mit der Bratpfanne Koteletts platthauen oder Hunderte von Tomaten entkernen! Oder er würde versuchen, Kokosmilch zu fermentieren. Niemals hätte er „Flauberts Papagei“ (1987) geschrieben, niemals den meisterhaften Roman „Vom Ende einer Geschichte“ (2011) und eben auch nicht das wahnsinnig komische Buch „Fein gehackt und grob gewürfelt“.

Und wir? Was würden wir dann machen? Ohne diese Bücher? Wahrscheinlich vor Verzweiflung Fleisch platthauen und Tomaten entkernen.