Supported das die Audience?

Kaufmannsdeutsch_BlogDie Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden hat ihre Bibliothek verkleinert. Deswegen bin ich jetzt im Besitz einiger historischer Bücher über Sprache und Stil im Beruf. Darunter zum Beispiel das äußerst aufschlussreiche Werk „Fräulein, bitte zum Diktat! Hand- und Wörterbuch der Sekretärin“ von 1953. (Dazu später einmal mehr). Außerdem sind dabei die beiden kleinen Büchlein „Ueber den Schreib-Stil des Kaufmanns“ von 1890 und „Die Sprache des Kaufmanns und seiner Korrespondenz“ von 1912. Es geht also um Business-Deutsch.

Wie hoch da die Latte hängt, wird 1890 schon auf der ersten Seite klargemacht: „Die erste Anforderung, die man an den Stil eines Gebildeten stellt, ist zweifellos richtige Sprache und guter Ton.“ Allerdings sah es offensichtlich damals schon betrüblich aus, denn: „Beides wird im sogenannten ‚Kaufmannsdeutsch‘ aber so beharrlich hintenangesetzt, daß in mancherlei Zeitungen schon darüber geschrieben worden ist. […] Auf die Bezeichnung ‚Deutsch‘ hat das sogenannte ‚Kaufmannsdeutsch‘ eigentlich gar keinen Anspruch und der […] Quartaner würde sich eines solchen nicht ungestraft bedienen dürfen. Die Jünger Merkurs aber kultiviren ihren Stil, so verwerflich derselbe auch ist, ruhig weiter und wetteifern förmlich in ihren Leistungen.“

Vor allem werden „hohle Phrasen“ bemängelt, die gegen die Regeln des guten Geschmacks verstießen, „abgestumpfte“ und „abgeschmackte“ Redewendungen. Auch 1912 geht es wieder um die „Sprachverderbnis im deutschen Handelsstande“, um „hohle, nichtssagende Worte“ und „unverzeihliche Nachlässigkeit“. Das Buch „Die Sprache des Kaufmanns“ soll ein Lehrbuch sein, damit der Kaufmann „sich vor neuen Verfehlungen hüte“.

Bei der Gelegenheit fällt mir ein witziges Interview mit Jil Sander ein (Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 22. März 1996). 20 Jahre alt, aber immer noch brüllend komisch:

„Ich habe vielleicht etwas Weltverbesserndes. Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, daß man contemporary sein muß, das future-Denken haben muß. Meine Idee war, die hand-tailored-Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.“

Dafür hat sie dann vom „Verein Deutsche Sprache“ den „Sprachschuster des Jahres“ bekommen. Erstaunlich, dass eine Unternehmerin, die auf ihrem Gebiet souverän, schnörkellos und stilsicher ist, sich sprachlich auf das Niveau von „Ernsting’s family“ begibt.

Umso erstaunlicher auch, als Jil Sander während dieses Interviews ein Buch des französischen Fotografen Nadar (1820-1910) aufschlug. Darin seine Portraits der großen Schriftsteller Gustave Flaubert, Charles Baudelaire, Honoré de Balzac. Über deren schwarze Gehröcke sagte die Modeschöpferin: „Die Materialigkeit ist mir wichtig, ich studiere die texture.“

Vielleicht wäre es für die sprachliche Stilbildung eine gute Idee gewesen, wenigstens auch kurz die Texte dieser Herren zu studieren?