Her mit den Notizbüchern!

kladde_rechner_blog„Wer oder was hilft in der Krise?“, wird die Schriftstellerin Katharina Hacker (geb. 1967) in ihrem jüngsten Interview (chrismon 01, 2016) gefragt. Katharina Hacker, die sich in ihrer Prosa durchaus als Expertin für Krisen, Umbrüche und Dilemmata auszeichnet, z.B. in „Skip“ (2015) oder dem buchpreisgekrönten Roman „Die Habenichtse“ (2006), muss es wissen. Also??

„Das Schreiben“. – Natürlich verwundert es nicht, dass das einer Schriftstellerin bei der Bewältigung schlechter Phasen hilft. Wirklich interessant ist aber das Bild, das sie uns mitgibt, indem sie erzählt, was das Schreiben in Krisensituationen gedanklich in ihr bewirkt:

„In der Krise klumpen die Sachen aufeinander. Manchmal vergisst man wahrzunehmen, dass dieser Klumpen immer noch ein Geflecht ist mit inneren Beweglichkeiten. Das Schreiben zieht dieses Geflecht auseinander, man bekommt wieder ein Gespür für die Zwischenräume – wenn es gut läuft.“

Gedankliche Strukturierung also, ein genauerer Blick ist es, worum es hier geht. Oder auch ein mehrmaliges Hinschauen. Eine Problematik, die aussieht wie ein undefinierbarer Klumpen, ohne Anfang und ohne Ende, könnte doch zu einem Knoten werden, an dem es vielleicht eine Stelle gibt, an der sich ziehen lässt.

Nun ist vielleicht nicht jedem von uns das literarische Schreiben in die Wiege gelegt worden. Aber mit dem Notieren und Skizzieren können wir versuchen, an schwierige und komplexe Fragestellungen heranzukommen. Wer kennt nicht allein schon das befreiende Gefühl, wenn ein Berg von Aufgaben, der schier unüberschaubar ist, erst einmal in die To-Do-Liste eingetragen wurde? Selbst wenn noch nicht das kleinste Bisschen davon erledigt ist?

Hanns-Josef Ortheil (geb. 1951), der unumstrittene Meister des Notierens und Skizzierens unter unseren zeitgenössischen Autoren, hat eigens darüber ein Buch geschrieben: „Schreiben dicht am Leben“ (2012). Und er erklärt hier, warum es für gedankliche Präzision so wichtig werden kann: „Im normalen Alltag ist die Arbeit des eigenen Gehirns […] kaum noch spürbar. Das Gehirn ermüdet von Stunde zu Stunde mehr, so lange, bis es durch bestimmte Stimulanzien wieder angeregt und in Bewegung versetzt wird. Das Notieren ist ein solches Stimulans, es ist das ideale Stimulans der geistigen Kapazitäten und damit das literarische Koffein par excellence. Das Hervorholen eines leeren Blattes, das Öffnen eines Bildschirms – solche Gesten signalisieren den Beginn einer dichten Aktion. […] Das Gehirn schaltet auf höchste Aufmerksamkeit, die Nervenzellen beginnen zu arbeiten, der Strom der Schrift beginnt zu fließen.“

Also los! Her mit den Notizbüchern! Die Beschaffung ist einfach! Hanns-Josef Ortheil: „In Papierwarenläden, ja selbst in Zeitungsgeschäften und Bahnhofsbuchhandlungen stehen sie plötzlich in wahren Schwärmen und in allen nur erdenklichen Formaten in auffälligen Drehregalen herum.“