Legere aude!

 

claude_dantzig_blogIst eigentlich irgendjemandem schon mal aufgefallen, wie hohl und banal das Wort „Informationsgesellschaft“ ist? Das sind wir nach offiziellen Definitionen nämlich jetzt. Bis vor einiger Zeit konnten wir uns immerhin noch „Wissensgesellschaft“ nennen, was auch schon nicht besonders viel war.

„Wissen ist keine große Sache. Jeder weiß etwas. Heerscharen von Dummköpfen und Einfaltspinseln sind vollgestopft mit Wissen“, schreibt der französische Schriftsteller Charles Dantzig in seinem intelligenten Buch „Wozu lesen?“. Und jetzt ist es nicht mal mehr das. Inzwischen begnügen wir uns mit „Informationen“.

Leider sind wir für den Umgang mit ihnen überhaupt nicht gerüstet. Wir sind nur selten in der Lage, das Wesentliche aus diesem riesigen Schwall an Überflüssigem herauszufiltern. Wir sind ebenso wenig in der Lage, die Qualität der an uns vorbeirauschenden Informationen wirklich einzuschätzen. Oder die Absichten, die dahinter stecken. Und das Allerschlimmste: Wir machen nichts draus. Wir nehmen nur hin. Wir wollen nicht verstehen, wir wollen nicht zweifeln, nicht fragen, nicht widersprechen, nicht argumentieren. Wir sind dabei, uns das Denken abzugewöhnen.

Also, verplempern wir nicht länger unsere Zeit! Ein Gegenmittel muss her. „Sapere aude!“ heißt es bei Horaz (65-8 v. Chr.). „Wage es, weise zu sein“. Und der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) übersetzt diese Aufforderung mit dem berühmten „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“

Und wie kommen wir zum Denken? Zum Verstehen? Übers Lesen. „Literatur“, erklärt Charles Dantzig, „insbesondere Belletristik, ist eine Form von Analogie [Ähnlichkeit, Vergleichbarkeit]. Oder genauer gesagt, eine der Formen des Verstehens mittels Analogie. Oder noch genauer gesagt, eine der Formen des Verstehens mittels Analogie, die nicht nur die Intelligenz, sondern auch die Emotionen bemüht. Analogie, Emotion. Genau darin liegt der Unterschied zur Philosophie, die sich ganz auf die Analyse und den Intellekt stützt.“ Die Literatur lasse uns Zusammenhänge schneller verstehen. Vor allem auch andere Zusammenhänge als die wissenschaftlichen Disziplinen uns vermitteln.

„Für mich jedenfalls gilt, dass fast alle guten Dinge, die ich gelernt habe, aus Büchern stammen“, schreibt Dantzig im Kapitel „Lesen lernen.“  Also, probieren wir es! Legere aude! Wage es, zu lesen!

Einen einzigen guten Grund, nicht zu lesen, gibt es natürlich. Der tritt dann ein, wenn die Literatur ihren Zweck erfüllt hat: Dann, wenn wir endlich nachdenken…