Sand im Getriebe der Welt

Ich habe heute etwas getan, das politisch nicht gewollt ist. Etwas, das große Teile der Bevölkerung und vor allem sehr viele Lobbyisten ablehnen. Und ich werde es wieder tun. Je ne regrette rien! Ich habe heute Glühbirnen gekauft! Richtige Glühbirnen. Solche, die ihren Namen noch verdienen, weil in ihnen ein Draht glüht. Die Ware, die nicht mehr hergestellt werden darf, bekomme ich von meinem Dealer in Hamburg-Lurup. Ein kleiner Lampenladen mit einem großartigen Lager voller alter Glühlampen. Herr S., der Inhaber, hat in vielen Aktenordnern die Geschichte des EU-Glühlampenverbotes mit all seinen Sinnwidrigkeiten dokumentiert. Denn wir müssen inzwischen mehr als nur bezweifeln, dass Energiesparlampen und LED-Leuchten unserer Umwelt und unserer Gesundheit zugutekommen. Oder seien wir einfach mal deutlich: Das Gegenteil ist längst belegt.

Auf den ganz alten Lampen, die ich bei Herrn S. gekauft habe, und die in ihren matten Kartons wie Vorkriegsware daherkommen, aber wahrscheinlich aus den 70ern stammen, steht übrigens noch „Made in Germany“. Etwas jüngere Glühlampen, vielleicht aus den 80ern und immer noch aus Glas, lassen dann wissen „Made in France“. Und auf den hässlichen neuen Plastik-LED-Birnen aus dem Baumarkt steht „Made in China“. Das nur mal am Rande.

Ich mag die Flammen vom Kaminfeuer. Ich mag es, viele Kerzen anzuzünden. Und ich mag das warme gelbe Licht echter Glühbirnen, die man auch noch problemlos dimmen kann. Das bläulich-weiße LED-Licht und das irgendwie grünliche der Energiesparlampen finde ich unästhetisch. Ich sehe in dem Spektrum aus, als würde ich schon seit Monaten an einer schweren Infektion laborieren, und irgendwann fühle ich mich dann auch so. Außerdem habe ich überhaupt keine Lust, mir von Leuten, die ich gar nicht kenne, vorschreiben zu lassen, dass unsere Wohnung ab jetzt auszusehen hat wie ein miserabel beleuchteter Operationssaal. Und deswegen pilgere ich ab und zu nach Lurup, „ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf, das nicht aufhört, dem Eindringling Widerstand zu leisten“.

Herrn S. bewundere ich für seine Haltung und für sein Engagement. Er ist ein wenig „Sand im Getriebe“ des allzu gut Geschmierten (die Doppeldeutigkeit interpretieren Sie da jetzt rein) und des allzu wenig Hinterfragten. 1950 schrieb der Lyriker und Hörspielautor Günter Eich (1907-1972) die Verse:

„Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für
euch erwerben zu müssen.
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit
der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“

Wir sind verantwortlich für alles, was wir denken, sagen und tun. Für jeden Satz, den wir aussprechen. Für jeden, den wir nicht aussprechen. Wir sind verantwortlich für jedes einzelne Produkt, das wir kaufen. Für jedes Kreuz, dass wir auf Stimmzetteln machen. Und für all das, was wir tun sollten oder wollten, aber eben doch nicht tun. Wir sind verantwortlich für jeden Schritt, den wir einfach nur der Herde hinterhertraben – auch, wenn ein anderer vor uns geht.

Und heute Abend machen wir den Kamin an. Wir verbrennen dann schönes abgelagertes Buchenholz. Wahrscheinlich wird man das auch bald nicht mehr dürfen. Wir werden das dann aber trotzdem tun.